Friedhofsanekdote aus Liebertwolkwitz

Ein ungewöhnlicher Gast

Es ist der 9. Oktober 2017 und wir befinden uns auf dem Friedhof Liebertwolkwitz. Eigentlich ein ganz normaler Tag. Wenn da nicht diese Trauerfeier angestanden hätte. Zu solchen Anlässen hat man auch meistens das passende Wetter mit Regen, Kälte und Ungemütlichkeit. An diesem Tage war es aber noch verhältnismäßig freundlich. Leider konnte das die trübe Stimmung der Trauergäste nicht sonderlich aufhellen. Zahlreiche Angehörige, Verwandte, ehemalige Kollegen und Bekannte waren gekommen, um von einer bekannten, beliebten und geachteten Frau Abschied zu nehmen und sie auf ihrem letzten Weg zu begleiten. Mit 66 Jahren war sie viel zu zeitig und viel zu plötzlich aus dem Leben geschieden.

Wäre da nicht diese Katze gewesen

Sie hatte sich, für Liebertwolkwitz erstmalig, in den Kopf gesetzt, an der Beerdigung teilnehmen zu müssen. Wobei „teilnehmen“ nicht der richtige Ausdruck ist. Sie war eher darauf aus, den Ablauf der Beerdigung genauestens zu kontrollieren und aktiv mitzugestalten.

Dabei kam sie, grau getigert, zierlich im Wuchs und mit einer Kennzeichnung, die jeder Gesichtserkennungsapparatur das Herz hätte höher schlagen lassen, recht gelassen daher. Ein Mädchen scheint’s, denn welcher Kater würde sich mit einem pinken Halsband vor die Tür trauen.

Sie war schon da, als die ersten Trauergäste eintrafen. Sie hatte sich noch schnell ein Mäuschen gefangen und widmete sich danach schnurstracks den angekommenen Gästen.

Als erstes begleitete sie die angereiste Verwandtschaft bei ihrem Rundgang über den Friedhof, als wollte sie feststellen, wer alles erschienen war.

Ein besonderes Interesse hatte sie dabei an einem Spielkameraden der Verstorbenen aus der Kindheit, so als wollte sie ihre Freude, vielleicht auch die Verwunderung, über sein Erscheinen zeigen.

Die Friedhofskapelle wurde vom Kätzchen bereits inspiziert. Mehrmals wurde sie auch aus dieser befördert. Vielleicht hatte sie ja auch nur die Absicht, den Angekommenen zu zeigen, wo sie den mitgebrachten Blumenschmuck ablegen können. Ihr war sicherlich bewusst, dass eine Trauerfeier stattfinden sollte.

Inzwischen hatten sich auch zahlreiche Trauergäste aus Liebertwolkwitz und Umgebung eingefunden und bildeten vor der Kapelle einen eigenen Flügel auf der rechten Seite des Vorplatzes. Die Katze mischte sich unter die Wolkser.

Nachdem sie die Neuankömmlinge begrüßt hatte, wandte sie sich schnurstracks dem Eingang der Kapelle zu. Sie wollte der erste Gast sein, mit der Absicht den besten Platz zu beanspruchen.

Glücklicherweise konnte das von den Organisatoren der Trauerfeier vereitelt werden.

Unbeeindruckt zog sie von dannen, ohne darauf zu bestehen eingelassen zu werden.

Da sie nun alles inspeziert hatte, hätte sie getrost ihrer eigenen Wege gehen können. Weit gefehlt! Als die Trauergemeinde sich am Grab versammelt hatte, war auch die Mietze wieder da.

Unsere Friedhofsgeschichte geht in die zweite Runde

Was sie nun abzog war so verblüffend, dass keiner so richtig wusste, wie sie damit umgehen sollten. Zunächst untersuchte sie das für die Urne bestimmte Grab, in etwa so wie eine Katze ein Mauseloch untersuchen würde.

Wäre es nicht verhindert worden, hätte sie persönlich die Tiefe und die Lichtverhältnisse geprüft. Um die Beerdigung vornehmen zu können, musste das Kätzchen dingfest gemacht werden. Auf den Arm genommen, gab sie mit lautem Schnurren kund, dass sie keine bösen Absichten verfolgte und gern wieder herunter gelassen werden würde.

Letzteres hat sie, sagen wir mal, erzwungen. Gerade noch rechtzeitig auf der Erde, beobachtete sie angespannt das Versenken der Urne, gab ihr mit den Pfötchen noch ein Bisschen die richtige Richtung und kümmerte sich abschließend um den Blumenschmuck. Schnell noch die Schleife des abgestellten Blumengestecks begradigt, um zu lesen, was der grauhaarige alte Mann hat drauf schreiben lassen. Nach prüfendem Blick widmete sie sich wieder den Trauergästen zu, die mit einem letzten Blütengruß Abschied von der Verstorbenen nahmen. Jedem, der über 40 Trauergäste, wurde auf die Finger geschaut, wie viel Blumen er nimmt und ob er sie auch zielsicher auf der Urne platziert. Sie hatte die löbliche Absicht vom Wind verwehte Blütenblätter an die richtige Stelle zu bringen, was dem Kätzchen allerdings nicht so richtig gelingen wollte.

Und dann war sie weg und wir haben sie auch seitdem nicht mehr auf dem Friedhof gesehen.

Mysterium Katze

Etwas mystisches hatte das Erscheinen des Kätzchens zur Beerdigung schon, hat es doch, laut einschlägiger Aussagen, so etwas noch nicht gegeben.

Von einer Bekannten war zu erfahren, dass es in Japan Organisationen gibt, die Katzen für Beerdigungen vermitteln. Sie sollen den Verstorbenen beschützen und die Hinterbliebenen trösten. Unsere war mit Sicherheit nicht aus Japan angereist.

Auch in Rom gibt es einen Friedhof mit drei festangestellten Katzen, die allerdings unliebsames Getier fernhalten sollen.

Eine beerdigungsbegleitende Katze gibt es aber scheinbar nur in Liebertwolkwitz.

Katze und Trauerfeier – Ist das vereinbar?

Natürlich wirft die Anwesenheit und das Tun der Katze Fragen hinsichtlich der Zulässigkeit und Akzeptanz in Anbetracht der Ernsthaftigkeit des Anlasses auf.

Und mancher der Anwesenden war bestimmt verunsichert, ob es auf einer Beerdigung erlaubt seit zu lächeln.

Wir sind aber der Überzeugung der Verstorbenen hätte es gefallen.

Wir haben lange über die Geschehnisse nachgedacht und sind zu dem Ergebnis gekommen – die Katze ist, von wem auch immer, geschickt worden und hatte einen Auftrag, den sie, nach Katzenmanier, auch abgearbeitet hat. Es sei ihr also vergeben.

Zumindest verlieh das Kätzchen dem Ganzen etwas Eigenes und Unvergessliches. Und wo wie es war es auch gut und richtig.

Die Traurigkeit, die kommt von allein, sie sitzt in allen Ecken und lauert einem auf.

Die Lebensfreude, die muss man suchen, und man kann froh sein, wenn man sie findet.

HF